MFG - Jetzt nicht die Nerven verlieren
Jetzt nicht die Nerven verlieren


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Jetzt nicht die Nerven verlieren

Text Michael Müllner
Ausgabe 11/2013

Im Streit zwischen der Stadt St. Pölten und der Raiffeisen Landesbank Wien-NÖ gab es zwar keine Einigung, aber einen weiteren Verhandlungstag. Über sinngemäßes Ätsch-Sagen und Alternativen zur Kristallkugel.

Am 5. November wurde wieder verhandelt. Am Handelsgericht Wien ging es im Rechtsstreit zwischen St. Pölten und der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien (RLB) wieder um den strittigen SWAP, ein im Jahr 2007 abgeschlossenes Derivativgeschäft, eine Zinswette auf den Schweizer Franken – die sich extrem zum Nachteil der Stadt entwickelt hat. Jährlich zahlt man rund 4 Millionen Euro Zinsen – das geht noch rund 20 Jahre so weiter, immer abhängig vom Kurs des Schweizer Franken.
Nun stand mit Reinhard Karl der RLB-Vertriebsvorstand im Zeugenstand: Gleich nach seinem Eintritt in das Unternehmen habe er von Vorstandsdirektor Erwin Hameseder den Auftrag bekommen die Causa zu prüfen, da sich der St. Pöltner Bürgermeister beschwert hatte. „Mir ist rasch klar geworden, dass bei uns alles korrekt abgelaufen ist und dass wir überhaupt keinen Grund haben, der Stadt irgendetwas anzubieten“, so Karl. Bei allen Gesprächen sei gesagt worden, dass die Bank keine Vergleichsgespräche führe und dass eine finanzielle Beteiligung ausgeschlossen sei. „Also haben Sie der Stadt sinngemäß ‚Ätsch‘ gesagt?“, will Richter Martin Ogris wissen. Ja, so könne man das sagen.
Der Verteidiger der Bank legt nach, immerhin hätte man schon kurz nach dem Abschluss des Geschäftes, als die Finanzkrise losbrach und der Schweizer Franken stärker wurde, dem Kunden angeboten aus dem Geschäft auszusteigen: „Hätte die Stadt damals auf uns gehört, als erstmals das Risikolimit überschritten wurde, dann säßen wir heute nicht hier.“ Doch damals hätte der Herr Bürgermeister 16 Millionen Euro Verlust verantworten müssen, wie die Bankverteidiger einräumen und „die hätte man finanziell zwar schon aufgebracht, aber politisch wäre das wohl zum Problem geworden“. Bis heute regt es Herrn Karl übrigens „fürchterlich auf, dass Stadler behauptet, wir hätten Bereitschaft signalisiert uns am Minus zu beteiligen. Im Gegenteil!“
Nun ist es für einen Richter wohl nicht ungewöhnlich, dass bei einem Zivilprozess zwei Streitparteien auf Biegen und Brechen und zur Not beim Leben der Großmütter Dinge beschwören, die sich so wohl nicht zugetragen haben können. An anderer Stelle formulierte ein Staatsanwalt mal so: „Wie es bei Wirtshausraufereien so üblich ist, gibt es Zeugen, die relativ dumm daher lügen. Die werden noch von der Staatsanwaltschaft hören.“ Wer sich als unbefangener Zuhörer in den Verhandlungssaal 1911 begibt, bekommt jedenfalls auch große Ohren ob der selbstsicheren Ausführungen des Herrn Raiffeisenbankers. Perfekt vorbereitet sei er natürlich, sogar Taferl hat er für den Herrn Rat vorbereitet und hält er ihm entgegen, seine Antworten wirken dennoch eintrainiert. Auch jene, die er nicht gibt, beispielsweise was er von Details des Geschäftes hält. Das tue nichts zur Sache, meint Herr Karl. Er sei Zeuge, kein Gutachter. Dazu habe er keine Wahrnehmung. Damals sei er ja noch gar nicht bei der Bank gewesen. Wohin soll diese Befragung führen? Und Herr Ogris, der Richter, stimmt ihm oft zu. Konsequent dreht sich die Befragung im Kreis, werden Fragen wiederholt und wiederholt, in der Hoffnung doch einen Satz ins Protokoll zu bekommen, den man vielleicht später nochmals zur Konstruktion einer Argumentation brauchen könnte. Wenn schon nicht bei diesem Richter, dann vielleicht im Berufungsverfahren.

Verjährt? Ja, nein, vielleicht.
Doch bis dahin ist noch Zeit und so erzählt uns Herr Karl in seiner fünfstündigen Befragung auch, dass die Bank lange Zeit keinen Verjährungsverzicht abgeben wollte: „Dafür bestand überhaupt kein Anlass, das wäre ein Zeichen der Schwäche gewesen.“ Dennoch kam ein Verjährungsverzicht zustande. Angeblich, weil man aus dem Rathaus vernommen hätte, dass der Bürgermeister auf eine Beruhigung der Finanzkrise, und damit verbunden, eine Verbesserung des Ausstiegskurses in Zukunft gehofft habe. Und so nebenbei wäre noch die Gemeinderatswahl 2011 abzuwarten gewesen. „Wir haben dann doch einem Verjährungsverzicht zugestimmt, weil wir als Bank nicht in den Gemeinderatswahlkampf reingezogen werden wollten“, erklärt uns Karl den 180°-Kurswechsel relativ knapp. Aha. Jedenfalls sei der Verjährungsverzicht an die Verpflichtung gebunden gewesen, dass St. Pölten brav und pünktlich seiner Zahlungsverpflichtung aus dem Geschäft nachkomme. Weil St. Pölten aus Sicht der Bank eine Zahlung mit ein paar Tagen Verspätung geleistet hat, wurde dieser Verjährungsverzicht von der Bank wieder aufgekündigt. Relevant sind diese juristischen Spielereien zur Beurteilung der rechtlichen Frage, ob die Klage der Stadt überhaupt zulässig ist. Erkennt man nämlich, dass man etwas gekauft hat, was man so nicht wollte, dann gibt es eine Frist, in der man dieses Geschäft einklagen muss. Im Raum steht, dass St. Pölten diese Frist verstreichen hat lassen – womöglich gar, um keinen politischen Wirbel vor der Gemeinderatswahl zu machen.
Doch zurück zur Bank, die so gar keine Gespräche über eine Beteiligung am Schaden führen wollte. Bürgermeister Stadler bekräftigt nach der Verhandlung gegenüber MFG, dass sich die Wahrheit ganz anders darstelle. „Der Stadt wurde nicht empfohlen aus dem Geschäft auszusteigen, sondern ganz im Gegenteil geraten, die Finanzkrise abzuwarten. Es wurde beschwichtigt und gesagt ‚man werde die Stadt nicht hängen lassen‘ und man solle ‚nicht die Nerven verlieren‘.“  Auch habe der Bürgermeister nicht die Causa bis nach der Wahl im Jahr 2011 „verstecken“ wollen, sonst hätte er ja von der RLB angebotene Stundungen der Zinszahlungen bis nach der Wahl angenommen. Vielmehr habe er laufend nach Auswegen gesucht. Genau diese Auswege waren aber scheinbar in den Gesprächen mit der RLB nicht zu finden, auch vor Gericht wurde die Quintessenz der Gespräche ja mit einem einfachen ‚Ätsch‘ zusammengefasst. Deshalb beauftragte die Stadt ein Gutachten und bereitete letztlich die nunmehr eingebrachte Klage vor. Nach der Verhandlung zeigte sich Stadler entrüstet: „Die RLB hat die Maske des kundenfreundlichen Geldinstitutes fallengelassen. Die Geschäftsbeziehungen zu Raiffeisen sind zu überdenken.“

Und weiter?
Eine erste Bilanz des Verfahrens ist schwierig. Beide Seiten argumentieren konsequent die bekannten Verteidigungslinien, neue Sachbeweise sind bis dato ausgeblieben. Vieles ist unterschiedlich interpretierbar. Tatsache ist, dass die Klägerin versucht das abgeschlossene Geschäft zu ergründen – mit dem Ziel aufzuzeigen, dass eben dieses Geschäft nie und nimmer mit einer Kommune hätte geschlossen werden dürfen. Die Stadt fühlt sich falsch beraten, sie fühlt sich hinter’s Licht geführt. Die Bank habe zu viel mit dem Geschäft verdient, es sei viel zu riskant gewesen (so hätte es gar nicht im Handelsbuch der RLB Platz finden können) und die Treasury Linien, die interne Bonitätsbewertungsmittel einer Bank sind, seien einfach nach Belieben angepasst worden, als der Schweizer Franken davonzog und die Zahlungsverpflichtungen der Stadt St. Pölten aus dem Geschäft so exorbitant angestiegen sind. Richter Ogris bringt es auf den Punkt: „Dass heute niemand dieses Geschäft mehr abschließen würde, das ist eh allen klar. Und dass es niemand haben möchte, merkt man daran, dass es mit rund 80 Millionen Euro negativem Marktwert bewertet wird.“ Es sei auch völlig unerheblich, ob die Bank nun 800.000 Euro oder das Doppelte damit verdient habe, auch der negative Anfangswert des Geschäftes sei für den Richter uninteressant. Es scheint ihm rein um die Frage zu gehen, ob der Käufer verstanden hatte, welches Geschäft er da abschließt und welches Risiko er damit in Kauf nimmt. „Und mit diesem maximalen Risiko haben sich alle abgefunden, zumindest die Herren Knoth und Stadler wussten über das Risiko durch das korrekte Einsetzen des Schweizer-Franken-Kurses in die Formel des Geschäftes Bescheid“, wie Ogris im Laufe der Verhandlung feststellt.

Kristallkugel und Fetzen.
Die Wette auf den Schweizer-Franken über eine Laufzeit von zig Jahren, das sei eben ein Glücksspiel, egal wie sehr sich die Anwälte nun bemühen würden, irgendwelche Kennzahlen in Bilanzen auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu bewerten. Ogris sagt: „Wenn die Bank in ihrem Bericht unter dem Punkt ‚Risikoanalyse‘ irgendwelche gescheit klingenden Abkürzungen hinschreibt, dann macht sie das ja nur, weil es der Finanzmarktaufsicht wohl nicht gefallen würde, wenn sie schreiben würde, dass man dafür lediglich eine Kristallkugel und einen Fetzen verwendet habe. Aber es wird doch dennoch kein Mensch glauben, dass man heute ausrechnen kann, wie der Kurs des Schweizer-Frankens in zwanzig Jahren steht, oder? Na eben.“
Doch kann man sich die Frage so leicht machen? Wäre es nicht von einer kommunalen Hausbank zu erwarten gewesen, dass sie nur Geschäfte verkauft, die sie selber versteht? Deren Marktwert sie selber jederzeit problemlos ermitteln kann und deren Risiko in einem vertretbaren Rahmen bleibt? Ist es vorstellbar, dass ein rationaler Bürgermeister und sein Finanzdirektor, ein derart hohes Risiko in Kauf genommen hätten – hätten sie darüber einen vollständigen Wissenstand gehabt. Für eine Upfront-Zahlung von lächerlichen 1,5 Millionen Euro wohl gemerkt, während heute aus dem Geschäft eine Millionen Euro Zinsen pro Quartal fällig werden?
Am Wirtshausstammtisch droht wie so oft ein schnelles Urteil. Dass die Politiker alle deppert sind und die Banken sowieso lauter Verbrecher. Dass aber dieses Geschäft zu einer Zeit abgeschlossen wurde, in der selbst Rechnungshöfe die Kommunen zur aktiven Schuldenbewirtschaftung aufgefordert hatten, das darf auch nicht unter den Tisch fallen. Und dass dieses Spiel viele Jahre lang gut ging. Und dass es eben nicht eine böse Investmentbank mit amerikanischen Eigentümern war, die dieses „Zauberprodukt“ angeboten hat, sondern die gute alte Tante Raiffeisen, die in NÖ wohl bei keiner Kommunalfinanzierung fehlen darf.
Während also in der ebenfalls rot-regierten Stadt Linz der Staatsanwalt bereits gegen leitende Finanzbeamte Anklage erhoben hat und der Streitwert im Zivilprozess zwischen Stadt und BAWAG bei unvorstellbaren 500 Millionen Euro liegt, steht das St. Pöltner Problem noch schüchtern in der zweiten Reihe. Für die Streitparteien ist dieser „Zweite Platz“ ein Segen, wird man somit doch überregional noch relativ wenig beachtet.
Laut Staatsanwaltschaft St. Pölten gab und gibt es jedenfalls keine Ermittlungen gegen Stadler oder Knoth, zumal deren Geschäfte immer durch einen Beschluss des Gemeinderates gedeckt waren. Wird die Klage abgewiesen zahlt St. Pölten noch jahrelang – je nach Entwicklung des Schweizer-Franken-Kurses – ein paar Millionen Euro pro Jahr für dein dummes Geschäft. Eine außergerichtliche Einigung scheint undenkbar, wohl auch weil ein Vergleich das Jahresergebnis der Bank massiv belasten würde. Auch bei 50:50 wären aktuell 40 Millionen Euro fällig, das wird der Bankvorstand seinen Genossenschaftern genauso schwer erklären können, wie der Herr Bürgermeister seinen Gemeinderäten und Bürgern.
Und bis am Handelsgericht Wien das erste Urteil gesprochen wird, wird der nächste Sommer ins Land gezogen sein. Bis die Instanzen ausgeschöpft sind, werden wohl Jahre vergehen. Und wohl so lange wird uns auch das Thema im Hinblick auf die politische Verantwortung weiter begleiten. Während die Oppositionsparteien nach wie vor von mangelnder Transparenz sprechen, sieht die SPÖ-geführte Stadtverwaltung in jedem Angriff der Opposition einen Angriff auf die Stadt selbst bzw. die Verhandlungsposition. Das Klima im Gemeinderat ist nach wie vor vergiftet. Am 28. Jänner wird wohl weiter verhandelt. Zur Abwechslung sind dann Zeugen der Klägerin geladen, wir werden also die andere Sicht der Geschichte hören. Die Vorbereitungen darauf haben sicher schon begonnen.